Chris-Oliver Schickentanz, Chief Investment Officer und Vorstand der Capitell AG, analysiert im Interview zentrale Markttrends und gibt konkrete Empfehlungen für Anleger.

Herr Schickentanz, US-Präsident Trump hat 30-prozentige Zölle auf Einfuhren aus der EU angekündigt. Brüssel hofft weiter auf eine Verhandlungslösung und hat die Einführung geplanter Gegenzölle vorerst verschoben. Wie könnte es aus Ihrer Sicht nun weitergehen?

Beide Seiten liegen bei Kernthemen noch weit auseinander. Daher wird die Zeit langsam knapp. Deshalb rechne ich damit, dass wir zum 1. August zumindest temporär die höheren Zölle zahlen müssen. Anders als dies nach dem „Liberation Day“ der Fall war, haben sich die Wachstumserwartungen für die USA mittlerweile deutlich erholt. Aus diesem Grund wird auf Trump nur wenig Druck ausgeübt, die avisierten Zölle nicht umzusetzen.

Das Anlagejahr 2025 war bisher von vielen Unwägbarkeiten geprägt. Was erwarten Sie für die zweite Hälfte?

Eine Mischung aus einem „Weiter so“ und „Alles wird anders“: Die politischen Themen werden uns auch in der zweiten Jahreshälfte erhalten bleiben. Dabei dürfte die Neubesetzung des Fed-Vorsitzes, der die Unabhängigkeit der US-Notenbank infrage stellen und damit den US-Dollar neuerlich schwächen könnte, die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich ziehen. Doch die regionale Gewinnentwicklung spricht für einen wesentlichen Trendwechsel: US-amerikanische Aktien dürften in der zweiten Börsen-Halbzeit wieder deutlich besser performen als ihre europäischen Pendants. Sie bieten das bessere Wachstum, werden fundamental vom schwachen Dollar gestützt und profitieren von neu aufgelegten Aktienrückkäufen. Da der Dollar nicht mehr so stark abwerten sollte wie in H1, lohnt es sich daher auch für den Euro-Anleger, wieder mehr US-Aktien ins Portfolio zu nehmen.

Wie sollten sich Anleger Ihrer Meinung nach auf die zahlreichen Unsicherheiten einstellen?

Die beste Antwort auf Unsicherheiten ist eine breite Streuung: Wir würden die Aktienanlage weiter akzentuieren, aber durch Anleiheinvestments, Gold und ggf. die Beimischung von Krypto-Assets diversifizieren.

Investoren haben zuletzt viel Geld in den USA abgezogen und nach Europa umgelenkt. Der Dollar schwächelt. Hat die Weltleitwährung Ihrer Meinung nach bald ausgedient?

Nein! Der US-Dollar wird auch weiterhin die weltweit wichtigste Reservewährung bleiben. Dessen ungeachtet sorgt die erratische Politik von Donald Trump für einen Vertrauensschaden. Weltweit versuchen Anleger ihre Devisenreserven zu diversifizieren und die starke Abhängigkeit vom Dollar zu reduzieren. Das könnte dazu führen, dass der Anteil der Dollarreserven über die kommenden fünf Jahre von aktuell 60 auf 50 Prozent fällt. Profiteure wären der Euro, der japanische Yen, der schweizerische Franken, Gold und Krypto-Assets, die entsprechend eine stärkere Berücksichtigung in den Portfolios der Grossanleger finden könnten.

Das ifo Institut hat seine Konjunkturprognose für Deutschland nach oben korrigiert. Die deutsche Wirtschaft soll im Jahr 2025 um 0,3 Prozent und 2026 um starke 1,5 Prozent wachsen. Wie zuversichtlich sind Sie für die Konjunktur hierzulande und für die Weltwirtschaft?

Für 2026 bin ich durchaus optimistisch, weil bis dahin die umfangreichen Fiskalimpulse durch Aufrüstung und das Sonderprogramm Infrastruktur realwirtschaftliche Effekte entfalten dürften. Aber: Dieses Jahr wird noch mal schwierig, weil uns die US-Zölle und die starke Euro-Aufwertung wohl das dritte Jahr in Folge keinen echten Wirtschaftsaufschwung bescheren dürften.

Wie schätzen Sie die mittelfristigen Inflationsgefahren ein?

Die Inflation wird künftig höher liegen als in den letzten zehn bis 15 Jahren. Dafür sprechen demografische Faktoren, die Kosten für die Energiewende sowie die zunehmende Störung globaler Lieferketten. Dennoch rechne ich nicht mit einer dramatisch steigenden Inflationsrate. Die Teuerung dürfte sich hierzulande zwischen 1,5 und 2,5 Prozent einpendeln.

Die EZB hat zuletzt den Leitzins abermals gesenkt, während die Fed ihn beibehalten hat. Welche Zinspolitik erwarten Sie in den kommenden Monaten?

Die EZB kann aufgrund der Euro-Stärke noch zwei Zinssenkungen bis zum Jahresende vornehmen. Dann läge der Einlagenzins mit 1,5 Prozent am unteren Ende des sogenannten neutralen Zinsbereichs, der realwirtschaftlich das Wachstum weder anschiebt noch bremst. Damit wird dann wohl erst einmal das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Die Fed dagegen dürfte 2026 mindestens noch dreimal die Zinsen senken.

Hat Sie der Höhenflug des Goldpreises in den vergangenen Monaten eigentlich überrascht?

Die Aufwärtsbewegung des Goldes hatten wir so erwartet, die Dynamik allerdings unterschätzt. Hier zeigt sich wieder einmal, dass fundamentale Trends wie die Diversifizierung von Devisenreserven durch taktische Faktoren wie eine verstärkte Investorennachfrage gehebelt werden können. Gold ist für uns ein wichtiger Risikopuffer, weil sich der Goldpreis systematisch anders entwickelt als andere Anlageklassen wie z. B. Aktien oder Anleihen. Entsprechend empfehlen wir, drei bis fünf Prozent des Gesamtvermögens in Gold zu investieren.

Bildnachweis: Pakin Jarerndee
Bildnummer: 2037948306
Bildquelle: istockphoto.com


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