Herr Müller, das Ifo-Institut, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und der Spitzenverband des Deutschen Handels melden allgemeine Aufhellung – täuscht die Stimmung oder steht Deutschland wirklich vor dem Aufschwung?
Die verbesserten Stimmungsindikatoren sind in erster Linie ein psychologischer Lichtblick nach Jahren der Rezession. Von einem echten Aufschwung sind wir jedoch meines Erachtens weit entfernt. Zwar fluten die aktuellen Konjunkturprogramme die Wirtschaft mit enormen Geldsummen, doch sie setzen höchstwahrscheinlich falsche Anreize: Grosse Infrastrukturaufträge werden allzu oft zu stark überhöhten Preisen vergeben, ohne dass tatsächlich im annähernd gleichen Verhältnis zur Geldsumme mehr Brücken oder Strassen entstehen. Dieses Geld versickert also bei wenigen Profiteuren, während gleichzeitig Bau- und Rohstoffpreise durch die Decke gehen – mit der Folge, dass Wohnungsbau noch unwirtschaftlicher wird und die Wohnungsknappheit weiter zunimmt. Steigende Mieten und geringere Konsumkraft werden die Folge sein.
Zudem entlasten die Massnahmen hauptsächlich grosse Industrieunternehmen, während der Mittelstand und private Haushalte – die eigentlichen Träger der Wirtschaft – kaum von niedrigeren Energiepreisen profitieren. Dem Konsum fehlt dann die Kraft, den dringend benötigten Aufschwung zu tragen. Die Stimmung mag besser sein, aber solange die Politik mit der grossen Kanone auf die falschen Ziele zielt, bleibt die Erholung ein Strohfeuer. Ich hoffe sehr, mich zu irren – doch die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte mahnen zur Vorsicht.
Am 9. Juli endet die von der US-Regierung gesetzte Frist für den Abschluss von Handelsabkommen. Vieles deutet darauf hin, dass die Zölle danach grundsätzlich steigen werden. Welche wirtschaftlichen Folgen sind aus Ihrer Sicht zu erwarten?
So sehr das international kritisiert wird: Aus rein amerikanischer Sicht ist dieses Vorgehen durchaus clever. Schon damals, als alle prophezeit haben, Trump werde die US-Wirtschaft ruinieren, habe ich gesagt: Das Gegenteil wird der Fall sein. Die USA werden – auf Kosten des Rests der Welt – am Ende wirtschaftlich gestärkt dastehen. Genau das erleben wir jetzt. Die amerikanischen Aktienmärkte laufen auch wieder sehr stark. Was Trump betreibt, ist wirtschaftlich im Interesse der grossen US-Konzerne, wenn auch nicht unbedingt im Sinne der US-Mittelschicht oder der kleinen Leute. Aber die grossen global agierenden Unternehmen profitieren. Die Rechnung dafür zahlen andere …
Die Angst vor einem neuen Zoll-Chaos scheint an den Börsen jedenfalls erst einmal verflogen zu sein, oder?
Die Märkte haben sich mit dem Worst-Case-Szenario arrangiert. Das ist ein interessantes psychologisches Phänomen: Wenn man zunächst mit einem maximalen Schreckensszenario konfrontiert wird – etwa der Ankündigung, die Zölle um 95 Prozent zu erhöhen – dann erscheinen selbst 20 Prozent am Ende harmlos. Trump hat mit dieser Taktik grosse Anker gesetzt, um anschliessend mit weniger drastischen Massnahmen auf breitere Zustimmung zu stossen.
Letztlich ist es so: Die Weltwirtschaft kann mit vielen Dingen umgehen – auch mit Zöllen. Aber was Unternehmen wirklich brauchen, ist Planungssicherheit. Und genau die fehlt aktuell. Wenn irgendwann klar ist, welche Zölle gelten, dann werden sich die Märkte und auch die Unternehmen darauf einstellen.
Was viele dabei nicht sehen: Die Zollmassnahmen könnten zwar kurzfristig einen Inflationsimpuls auslösen, aber der wird aktuell vom relativ niedrigen Ölpreis nahezu vollständig kompensiert. Und genau deshalb war die Eskalation mit dem Iran für Trump auch so unpassend: Ein steigender Ölpreis in Kombination mit Zöllen hätte die Inflation befeuert – das konnte er sich nicht leisten. Darum brauchte er eine schnelle Lösung – und die bekommt er, weil seine saudischen Partner mitspielen und die Pumpen hochgedreht haben. Der Ölpreis ist derzeit deutlich niedriger als vor einem Jahr.
Welche Strategie verfolgen Sie aktuell in Ihrem eigenen Fonds vor dem Hintergrund der vielen Unwägbarkeiten?
Wir fahren seit einiger Zeit zweigleisig. Im offensiven Fonds liegt der Schwerpunkt praktisch vollständig auf grossen US-Unternehmen; lediglich drei Positionen stammen aus Europa. Dieser Fonds ist auf den weiteren Aufstieg Amerikas fokussiert. Er ist konsequent gegen Wechselkursrisiken zwischen US-Dollar und Euro abgesichert. Der defensive Fonds verfolgt dieselbe Währungsabsicherung, ist aber deutlich opportunistischer gesteuert. Kommen die Märkte unter Druck, fahren wir das Risiko sofort drastisch herunter; in der Korrektur Anfang April waren wir zeitweise zu hundert Prozent abgesichert. Ziehen die Kurse wieder an, lockern wir den Schutz schrittweise – aktuell sind nur noch rund zwanzig Prozent des Portfolios gehedgt. Mit dieser Stossdämpfer-Taktik verlieren wir in Abwärtsphasen kaum, sind aber nach oben inzwischen gut dabei. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben wir konsequent in dieses dynamische Risikomanagement überführt, weshalb wir mit beiden Fonds im Moment sehr zufrieden sind.
Der Dollar schwächelt unter Trumps Ägide spürbar. Hat die Weltleitwährung Ihrer Meinung nach bald ausgedient?
Trump hat von Anfang an klargemacht, dass der Greenback aus Sicht der US-Industrie überbewertet ist, weil er als weltweite Reservewährung künstlich nachgefragt wird. Sein Ziel ist deshalb ein Wechselkurs zwischen 1,25 bis 1,30 US-Dollar je Euro. Zu diesem Wunsch passt auch seine Forderung nach Zinssenkungen. Von dem schwachen Dollar profitiert die gesamte US-Wirtschaft massiv. Trotzdem bleibt der Dollar die Leitwährung. Es gibt schlicht keine Alternative. Schon 1971, als Washington die Goldbindung aufhob, prophezeiten viele das Ende der Dollar-Dominanz – passiert ist nichts. Unter Trump gilt mehr denn je: Militärische und politische Sicherheit aus Washington gibt es nicht zum Nulltarif – sie wird mit Loyalität gegenüber der Leitwährung Dollar erkauft. Länder, die sich weigern, spüren rasch handelspolitischen Druck. Konkurrenz wird es immer geben, Gold wird an Bedeutung gewinnen, doch der Dollar bleibt – mangels gleichwertiger Alternativen –, er ist das unverzichtbare Rückgrat des globalen Finanzsystems.
Im Juni lag die Inflation in der Eurozone mit zwei Prozent im Zielkorridor. Dennoch bleiben Risiken: anhaltend hohe Dienstleistungspreise, volatile Ölpreise infolge geopolitischer Spannungen im Nahen Osten – und mögliche US-Strafzölle. Wie schätzen Sie die mittelfristigen Inflationsgefahren ein?
Sieht man – jenseits der offiziellen Statistik – auf die tatsächliche Teuerung im Alltag, liegt die Inflation deutlich höher. Die Programme in Europa und den USA pumpen Hunderte von Milliarden Euro bzw. Dollar in Rüstung (konsumtiv) und in Infrastruktur (investiv). Da die Wirtschaft diese grossen Summen aber gar nicht kurzfristig absorbieren kann, treibt das die Baukosten, die Löhne in diesem Sektor, Roh- und Grundstoffpreise und am Ende auch die Mieten nach oben. Parallel drohen weitere US-Zölle, die Europa stärker treffen würden als Amerika. Solange der Ölpreis niedrig bleibt, dämpft das den ersten Inflationspuls ein wenig – doch diese Entlastung ist fragil. Früher oder später wird der Staat zudem höhere Steuern oder Abgaben ins Spiel bringen, um die neuen Schulden zu finanzieren. Unter dem Strich rechne ich daher mit einer anhaltend erhöhten, womöglich sogar steigenden Inflation.
Gehen Sie davon aus, dass die EZB die Konjunktur mit weiteren Zinssenkungen stützt?
Das ist schwer abzuschätzen. Fakt ist: Schon heute liegen die europäischen Leitzinsen deutlich unter den US-Sätzen. Theoretisch könnte die EZB das Niveau weiter absenken. Praktisch hat sie kaum Spielraum, mit Zinssenkungen noch einen nennenswerten Konjunkturschub zu erzeugen.
Hat Sie der Höhenflug des Goldpreises in den vergangenen Monaten eigentlich überrascht?
Ehrlich gesagt, nein. Was wir beobachten, ist weniger ein Höhenflug des Goldes als ein sinkender Wert der Papierwährungen. Für mich dient Gold als Referenzmass – nicht Gold wird teurer, sondern Euro, Dollar und Co. verlieren an Kaufkraft. In einer Welt voller geopolitischer Spannungen, exponentiell wachsender Schulden und wachsender Zweifel an der Fiskaldisziplin der Industrieländer suchen Anleger und Notenbanken – allen voran jene aus den BRICS-Staaten – nach einem sicheren Hafen. Dass viele Zentralbanken ihre Reserven deutlich in Gold aufstocken, ist ein klarer Hinweis darauf, wohin das Vertrauen wandert. Persönlich betrachte ich Gold seit jeher als strategische Versicherung: kaufen, liegen lassen, nicht darüber nachdenken, ob man zwischendurch Gewinne realisieren sollte. Wer vor zwanzig Jahren bei 300 Dollar je Unze eingestiegen ist und sich von kurzfristigen Schwankungen nicht verunsichern liess, steht heute bei über 3.000 Dollar je Unze. Natürlich kann der Preis auch wieder auf 2.500 Dollar zurückfallen, doch das ändert am langfristigen Schutzcharakter nichts. Deshalb gilt für mich dieselbe Regel wie bei aussergewöhnlich starken Qualitätsaktien: Buy and hold. Fällt der Kurs einmal spürbar, stocke ich auf; verkaufen kommt nicht infrage.
Bildquelle: Dirk Müller
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