Mit Folker Hellmeyer, dem Chefvolkswirt der Netfonds AG und erfahrenen Experten und Vortragsredner, führte pro aurum Ende Februar ein Interview über die aktuelle Lage des Finanzsystems und die weiteren Perspektiven der Edelmetalle.
Herr Hellmeyer, wie bewerten Sie den ausgesprochen positiven Jahresauftakt des Goldpreises inklusive der neu markierten Rekordhochs?
Folker Hellmeyer: Sonderlich überrascht hat mich der positive Jahresauftakt nicht, schliesslich spielen Faktoren wie Handelsbilanzdefizite, Haushaltsdefizite oder Arbeitslosenzahlen bei der Krisenwährung keine entscheidende Rolle und im Zuge der geopolitischen und ökonomischen Umbrüche, die wir derzeit in der Welt erleben, gehe ich von einer Fortsetzung dieses Aufwärtstrends aus. Was derzeit passiert, ist, dass die tragenden Säulen der globalen Gemeinschaft angegriffen bzw. eliminiert werden. Dies kommt besonders gut durch das enttäuschend verlaufene G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs in Kapstadt zum Ausdruck, zu dem einige nicht einmal angereist sind. Ich habe den Eindruck, dass es sich nicht um ein G20-Treffen, sondern um eine Veranstaltung der G7 und der G13 unter einem Dach handelt. Und all die daraus resultierenden Unsicherheiten für die Ökonomie und die Kapitalmärkte schlagen sich folgerichtig in steigenden Edelmetallpreisen nieder.
Welche Sorgen dürften im weiteren Jahresverlauf Ihrer Meinung nach an den Finanzmärkten eine besonders grosse Rolle spielen? Betreffen diese eher die Konjunktur, die Inflation, die US-Handelspolitik, die wachsenden Schuldenberge oder die geopolitische Lage?
Für mich gibt es eine Phalanx an wichtigen Themen wie z. B. die Neudefinition der USA in der Geopolitik. Im Grunde genommen will man sich dem pazifischen Raum stärker zuwenden, was sich übrigens seit US-Präsident Obamas Amtszeit bereits abgezeichnet hat und durch die jüngsten Einlassungen Trumps gegenüber Europa nicht anders interpretieren lässt. Der Streit um die Zukunft der Ukraine zeigt aber auch, dass das Konstrukt NATO neu zu analysieren und zu bewerten ist, da die Homogenität zwischen den Mitgliedsländern nicht mehr gewährleistet ist. Ungemach droht aber auch im Nahen Osten, insbesondere der Streit zwischen den USA und dem Iran wird uns in diesem Jahr noch stark beschäftigen. Erhebliches Konfliktpotenzial besteht zudem im Gazastreifen, wo offensichtlich eine Neuordnung angestrebt wird. Ausserdem haben die USA China als Hauptgegner definiert, sodass auch hier das latente Risiko einer sich verschärfenden Krisenlage vorliegt. Ein weiteres wichtiges Thema stellt zudem die US-Handelspolitik dar, welche sämtliche davon betroffenen Länder – auch die USA – belasten und die Weltwirtschaft bremsen wird. Und all diese Umbrüche führen zu einer weiteren Verunsicherung und werden letztendlich über die Kapitalmärkte bewertet, wobei das wachsende Sicherheitsbedürfnis das Interesse an Gold & Co. verstärken dürfte.
Gehen Sie davon aus, dass der neue US-Präsident Trump – neben den bereits aufgebauten strategischen Gold- und Ölreserven – dieses Prinzip auch im Bereich Kryptowährungen einführen wird?
Die Wahl von Donald Trump hat Kryptoanlagen – ich vermeide aufgrund ihrer fehlenden Hoheitlichkeit den Begriff Währung – bereits deutlich nach oben getrieben. Fakt ist und bleibt, dass die Trump-Regierung gegenüber Kryptoanlagen positiver eingestellt ist als die Biden-Administration. Einer verstärkten Allokation von Kryptoanlagen als Reservewährung stehe ich allerdings kritisch gegenüber. Dies liegt vor allem an deren enorm hohen Volatilität. Währungsreserven sollten nämlich vor allem eines generieren: Stabilität. Die extrem hohe Volatilität im Kryptosektor steht dem Stabilitätsanspruch der Notenbanken und Staaten jedoch diametral entgegen.
Zu welchem Mix der Anlageklassen würden Sie Privatanlegern in der gegenwärtigen Marktphase raten?
Ich vertrete seit 2001 die Ansicht, dass eine Edelmetallquote in Höhe von zehn Prozent des frei verfügbaren Geldvermögens sachlich angemessen ist, und dabei bleibe ich auch. Wer Lust auf ein höheres Risiko verspürt, kann auch gern einen höheren Prozentsatz anstreben. Darüber hinaus bleibe ich ein Fan der Aktienanlage. Losgelöst von der Zoll-Problematik werden Unternehmen meiner Meinung nach immer wieder Wege finden, ihr Geschäft zu optimieren. Ich gehe davon aus, dass Firmen mit einem unverzichtbaren Geschäftsmodell für die Versorgung der Weltwirtschaft weiter ihre Berechtigung als Investment haben werden – ich rede nicht von Spekulation. Hier halte ich eine Quote von 60 bis 70 Prozent für angemessen. Ausserdem bietet sich eine Liquiditätsquote von zehn Prozent an. Die verbleibenden zehn Prozent könnten für Momentum-Deals bei speziellen Aktien eingesetzt werden.
Und was sollten Geldanleger mit Blick auf Edelmetalle auf keinen Fall ausser Acht lassen?
Also für mich ist der Aufwärtstrend – insbesondere bei Gold – absolut intakt. Dabei sind für mich zwei Aspekte von wesentlicher Bedeutung. Edelmetalle sind im Grunde genommen Währungen ohne Fehl und Tadel. Wir sehen Tag für Tag, dass das dollar-zentrische System dünner wird, was natürlich auch auf die aktuelle Politik der USA zurückzuführen ist. Dadurch werden Investments in Edelmetalle immer attraktiver, was durch den massiven Aufbau der Goldreserven durch Länder des globalen Südens verstärkt zum Ausdruck kommt. In den vergangenen 24 Jahren haben sich die Probleme der Finanzsysteme nicht ent-, sondern verspannt. Deshalb bleibe ich für den Edelmetallsektor absolut bullish: Das ist so und das bleibt so. Seit über zwei Jahrzehnten weise ich darauf hin, dass das westliche Finanzsystem unter Krebs leidet. Und dieser Krebs ist nicht besiegt, sondern hat sich ausgeweitet. Heute erscheint mir das Finanzsystem sogar fragiler als im Jahr 2001 und dies spricht letztendlich für eine Allokation in Edelmetalle.
Viele Anleger interessieren sich erfahrungsgemäss besonders stark für konkrete Kursziele. Was trauen Sie dem Goldpreis und den anderen Edelmetallen zu?
Ich spreche generell keine expliziten Kursziele aus, weil in diesem Marktsegment stets das latente Risiko verdeckter Interventionen existiert. Das war in der Vergangenheit der Fall und kann auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Da es in den USA mittlerweile Bestrebungen gibt, die Goldreserven wieder einmal zu überprüfen, bin ich in diesem Zusammenhang allerdings auf das Ergebnis gespannt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dies die Edelmetallpreise noch weiter nach oben befördern könnte.
Bildquelle: Folker Hellmeyer
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